Die 17-jährige Nina Elmiger aus Sempach engagiert sich für die Klimabewegung. Der «Seetaler Bote» hat mit ihr über den anstehenden «Strike for Future», ihre Motivation und den manchmal frustrierenden Kampf für eine klimaneutrale Zukunft gesprochen.

Nina Elmiger, können Sie sich noch an den ersten Klimastreik erinnern, an dem Sie teilgenommen haben?
Nina Elmiger: Ja, das war im Frühjahr 2019, bei der ersten «Fridays for Future»-Demo in Luzern. Dort habe ich ein Gemeinschaftsgefühl gespürt, das ich so nicht kannte. Vorher habe ich mich mit meinen Sorgen immer etwas alleine gefühlt.
Weshalb?
In meinem Freundeskreis hat sich niemand so viele Sorgen um die Umwelt gemacht wie ich. Das war ernüchternd. Viele Jugendliche sind nicht so stark auf das Thema sensibilisiert.
Auf was führen Sie dies zurück?
Das ist schwer zu sagen. Ich habe in meiner Kindheit drei Jahre in Peru gelebt. Meine Eltern haben dort ein Umweltschutzprojekt unterstützt. Länder im globalen Süden sind viel stärker von der Klimakrise betroffen. In Südamerika habe ich das hautnah miterlebt.
Kommt daher Ihr Engagement für die Klimabewegung?
Das Interesse an dem Thema wurde bei mir bereits mit einem Vortrag in der Primarschule geweckt. Wir lernten, was der Treibhauseffekt ist und was die Klimaerwärmung auslösen kann. Prognosen von Extremwetterereignissen oder Kriege um Ressourcen schockierten mich. Ich verstand schon damals nicht, weshalb niemand etwas dagegen unternahm. Deshalb wollte ich die Sache selbst in die Hand nehmen.
Haben Sie Vorbilder in der Klimabewegung?
Es gibt keine konkrete Person, die ich als Vorbild habe. Aber mich beeindrucken die Menschen, die nicht aufgeben und immer wieder auf die Strasse gehen, um für die Klimakrise einzustehen – obwohl keine Ergebnisse sichtbar sind.
Sie sehen also keinen Fortschritt bei der Umsetzung?
Nein. Das ist frustrierend. Ein Beispiel dafür ist das CO₂-Gesetz. Es ist absolut ungenügend und reicht nicht aus, damit die Schweiz bis 2050 klimaneutral wird, geschweige denn bis 2030. Der Schweizer Finanzplatz wird darin nicht einmal erwähnt. Dabei verursacht er, gemäss einer Berechnung der Klima-Allianz Schweiz, mit der Investition in die Kohle-, Erdgas- und Erdölindustrie 22-mal so viel Treibhausgasemissionen wie die Schweiz insgesamt. Es ist surreal, dass solche Gesetze überhaupt noch ausgearbeitet werden. Dabei wären Lösungen da, sie müssten nur umgesetzt werden.
Was für Lösungen wären das?
Der Klimastreik hat im Januar einen Klimaplan veröffentlicht. Dort steht konkret drin, was gemacht werden muss, damit wir Netto-Null bis 2030 erreichen können. Zu den Massnahmen gehören zum Beispiel das Verbot von schweren und übermotorisierten Personenwagen, die Sensibilisierung der Bevölkerung oder die Klimatransparenz für Finanzinstitute.
Die Umsetzung aller Massnahmen ist eher unwahrscheinlich. Ist es überhaupt noch realistisch, das Netto-Null-Ziel bis 2030 zu erreichen?
Es muss einfach. Wir haben die Klimakrise 30 Jahre verschlafen und es wird mit jedem Jahr schwieriger, das Ziel zu erreichen. Die Folgen werden immer ausgeprägter. Wenn wir nicht bis 2030 klimaneutral werden, ist die Gefahr grösser, dass die Klimaerwärmung die 1.5-Grad-Grenze übersteigt. Das muss um jeden Preis verhindert werden.
Was hindert die institutionelle Politik daran zu handeln?
Das ist schwierig zu beantworten. Es gibt sehr starke und machtvolle Lobbys, wie die Erdöllobby. Geld spielt ebenfalls eine grosse Rolle. Zudem wird die Klimakrise von vielen nicht als Krise behandelt. Das wird im Vergleich mit der Corona-Pandemie umso deutlicher.
Inwiefern?
Bei der Corona-Pandemie hat man relativ schnell versucht, das Virus mit Massnahmen zu bekämpfen. Die Klimakrise hingegen wird seit Jahren ignoriert.
Ist die Klimakrise während Corona untergegangen?
Das Thema ist sicher nicht mehr so präsent wie vor der Pandemie. Dafür ist uns aber umso bewusster geworden, wie wichtig eine intakte Umwelt ist. Wir wissen jetzt, was eine Krise ist. Und wir wissen, dass wir schnell handeln müssen, um sie zu bekämpfen. Sonst hängen Menschenleben dran.
Am 19. März fand die erste Klimademo nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie statt. Wie war das für Sie?
Das Gemeinschaftsgefühl auf der Strasse zu spüren, war einerseits sehr schön. Andererseits sind unsere Forderungen bei der institutionellen Politik wieder überhaupt nicht angekommen. Es hat keine direkte Reaktion auf den Klimastreik gegeben.
Am 21. Mai steht mit dem «Strike for Future» der nächste grosse Klimastreik an. Was ist geplant?
Es werden in der ganzen Zentralschweiz verschiedene kleinere Aktionen geplant. In Luzern wird es unter anderem eine Velo-Demo geben. Schweizweit wird um 11.59 Uhr Lärm gemacht und damit ein symbolischer Klimaalarm ausgelöst. Dieser soll zeigen: Es ist eine Minute vor zwölf, um zu handeln. Der Anlass wurde zwar vom Klimastreik initiiert, es machen aber auch andere Organisationen wie der WWF oder der Feministische Streik mit. Sie werden bei einem Postenlauf aufzeigen, wofür sie kämpfen.
Weshalb habt ihr auch andere Organisationen in den «Strike for Future» integriert?
Wir setzten uns am 21. Mai nicht nur für die Klimakrise per se sein, sondern für alle Krisen, die damit einhergehen. Durch sie werden zum Beispiel Ungerechtigkeiten zwischen Geschlechtern oder Weltregionen verstärkt. Länder im globalen Norden tragen mehr zur Klimaerwärmung bei, sind von den Auswirkungen aber weniger stark betroffen.
Lenkt es nicht von der Klimaproblematik ab, wenn man alle Krisen in einen Topf schmeisst?
Nein. Die Probleme müssen gemeinsam gelöst werden. Die Corona-Pandemie ist das beste Beispiel dafür: Nimmt die Biodiversität ab, wird es in Zukunft auch mehr Pandemien geben. Es ist nötig den Zusammenhang zu betrachten.
Der Klimastreik ruft in letzter Zeit vermehrt zum zivilen Ungehorsam auf. Die Besetzung des Bundesplatzes ist ein prominentes Beispiel. Ist so eine Aktion auch für den 21. Mai geplant?
Nein, bis jetzt noch nicht.
Sind das die richtigen Methoden, um die Aufmerksamkeit auf die Klimakrise zu lenken?
Wir streiken nun seit zwei Jahren und nichts ist passiert. Ziviler Ungehorsam ist ein Notmittel, zu dem wir greifen müssen und in Zukunft auch vermehrt greifen werden, um mehr Druck auf die institutionelle Politik auszuüben.
Können solche Aktionen der Klimabewegung nicht schaden?
Bei der Besetzung des Bundesplatzes haben uns viele Leute unterstützt und sich mit uns solidarisch gezeigt. Das hat bewiesen, dass sich die Befürchtung nicht bewahrheitet. Es gibt aber sicher Grenzen, die nicht überschritten werden dürfen. Für mich ist wichtig, dass die Aktionen immer gewaltfrei bleiben. So sollte es möglich sein, die Sympathie der Bevölkerung zu behalten.
Die Klimajugend wird aber bereits heute kritisiert. Machen manche Jugendliche wirklich nur bei den «Fridays for Future»-Demos mit, um die Schule zu schwänzen?
Am Anfang der Bewegung gab es das bestimmt. Aber jetzt ist der grosse Hype vorbei. Es kommen nur noch Personen, die sich auch wirklich Sorgen machen.
Andere kritisieren, dass sich die Jugendlichen für die Klimabewegung einsetzen, selber aber nicht klimaneutral leben.
Das Argument, dass wir kein Handy mehr haben oder Fleisch essen dürfen, nervt mich ziemlich. Wer das sagt, erkennt nicht, was wir wirklich fordern und kritisieren.
Und was wäre das?
Wir fordern nicht, dass niemand mehr fliegen oder ein Auto haben darf. Wir wollen, dass die Klimakrise mit einer systematischen Lösung angegangen wird. Gemäss einer Studie werden 71 Prozent der weltweiten Emissionen von 100 Unternehmen verursacht. Eines davon ist übrigens Glencore mit Sitz in Baar. Man kann gerne aufhören Fleisch zu essen und anfangen Plastik zu recyceln. Im Grossen ändert das aber leider wenig, wenn politisch nichts passiert. Deshalb bringt es viel mehr, auf die Strasse zu gehen, zu demonstrieren und Druck zu machen.
Liegt es also trotzdem noch drin für einen Wochenendtrip nach London zu fliegen?
Ich persönlich würde das sicher nicht machen. Grundsätzlich muss die Schweiz die Flugemissionen stark verringern. Wir fliegen überdurchschnittlich viel – auch innerhalb von Europa. Es gibt aber auch Situationen, in denen ich Verständnis fürs Fliegen habe, zum Beispiel, um seine Familie zu besuchen.
Aber können Menschen, die sich für die Klimabewegung einsetzen und selber um die Welt jetten überhaupt ernst genommen werden?
Ich kenne niemanden vom Klimastreik, der nicht selber umweltbewusst lebt. Ich glaube, das passiert automatisch, wenn man sich für das Thema interessiert. Aber das sollte nicht als Argument oder als Kriterium gelten, ob man sich aktiv für die Klimabewegung einsetzen darf oder nicht. Jeder kann etwas dazu beisteuern.
Was könnte das Seetal tun, um seinen Beitrag zu leisten?
Es wäre allgemein notwendig, die Klimakrise als solche anzuerkennen und sie bei allen politischen Entscheidungen miteinzubeziehen. Das fängt bei den Gemeinden an. Im Klima-Aktionsplan vom Klimastreik stehen auch Massnahmen drin, die sehr lokal umgesetzt werden können.
Und was kann jeder Einzelne tun?
Das Wichtigste ist, sich über die Klimakrise zu informieren und sich mit Gleichgesinnten zu vernetzen. Das kann zum Beispiel mit einer Lokalgruppe sein, die man gründet. Zudem kann man bei Aktionen mitmachen, die Druck auf Firmen und die institutionelle Politik ausüben. Die nächste Gelegenheit dafür ist der 21. Mai.
Werden Sie sich darüber hinaus in den Klimagruppen engagieren?
Ja. Wir werden solange aktiv sein, bis sich etwas ändert und unsere Forderungen erfüllt werden.
Nina Elmiger ist seit eineinhalb Jahren in der Klimabewegung aktiv. Die 17-Jährige engagiert sich beim Klimastreik Zentralschweiz, hat den Klimastreik Sursee mitgegründet und ist bei nationalen Projekten involviert. Pro Woche investiert sie um die 20 Stunden in die Klimabewegung. Nina Elmiger wohnt mit ihren Eltern und zwei jüngeren Schwestern in Sempach und besucht die vierte Klasse an der Kantonsschule Sursee.