Der Ostersonntag war als Kind – neben Geburtstag und Weihnachten – einer der besten Tage im Jahr. Den ganzen Tag Schokolade essen, mit dem Cousin und der Cousine spielen und das grosse Highlight: Die Suche nach dem Osternestli. Mit dem Glauben an den Osterhasen haftete an dem Feiertag geradezu etwas Zauberhaftes.
Besonders aufregend war die Suche nach dem Osternestli an einem kalten Ostersonntag. Auf dem Boden lag eine dünne Schneeschicht. Ich konnte es kaum glauben: Der Osterhase hatte tatsächlich Pfotenabdrücke im Schnee hinterlassen! In der Hoffnung, noch einen kurzen Blick auf das aussergewöhnliche Wesen zu erhaschen, schlich ich leise durch den Garten, schob vorsichtig die Zweige von den Büschen zur Seite – ohne Erfolg.
Später erfuhr ich: Die Pfotenabdrücke stammten lediglich von unserem eigenen, ganz gewöhnlichen Hasen, der vor der Osternestli-Suche ein paar Runden im Schnee hoppelte. Mit dieser Erkenntnis verschwand ein grosser Teil des Osterzaubers. Und über die Jahre veränderte sich die Bedeutung des Feiertages immer mehr: Aus dem Tag, an dem der Osterhase kommt, wurde der Tag, an dem die Familie zusammenkommt.
In Coronazeiten ändert sich die Bedeutung von Ostern erneut. Das grosse Familientreffen fällt aus. Damit hat die Pandemie dem Feiertag den letzten Zauber gestohlen – zumindest beinahe. Wäre da nicht noch eine Tradition aus der Kindheit: Die Suche nach dem Osternestli.
Wieder schlich ich am letzten Sonntag durch den Garten, schob die Zweige von den Büschen zur Seite. Allerdings nicht auf der Suche nach einem «echten» Osterhasen, sondern nach einem aus Schokolade. Für einen Moment vergass ich die Enttäuschung, dass in diesem Jahr die Familie nicht zu Besuch kommen konnte, die Einschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie und all der kleinen Alltagsproblemchen.
Die Suche nach dem Osternestli lösten bei mir kindliche Glücksgefühle aus. Und für einen Moment spürte ich ihn wieder, den Osterzauber, den ich bereits vor Jahren verspürte: Als ich die Pfotenabdrücke des Osterhasen im Schnee entdeckte.